DIE WEICHEN
MÜSSEN IN DEN KÖPFEN GESTELLT WERDEN !
(Severin Gschwendtner, erschienen
im Rosenheimer Journal, 8.97)
"Eines Tages wird noch mancher Politiker den RoRegio
- Initiatoren Abbitte leisten!" Das sagte ein führender
Kommunalpolitiker angesichts einer stagnierenden Entwicklung
bei der Lösung der Rosenheimer Verkehrsprobleme. Und
auch der Satz ist in einem politischen Gremium schon gefallen:
"Ach hätten wir doch schon die Stadtbahn !"
RoRegio ist zum Begriff für eine Aufwertung des öffentlichen
Personennahverkehrs (ÖPNV) im Raum Rosenheim geworden.
Der Initiativkreis, der sich und sein Produkt Rosenheimer
Regionalbahn (RoRegio) nennt, ist aus Leuten entstanden,
die nicht nur Lösungen fordern, sondern selbst auch
welche anbieten wollen. Sie haben sich in vergleichbaren
Gebieten umgesehen und sind in verschiedenen Regionen auf
Lösungen gestoßen, Lösungen, die von bisherigen
Konzepten deutlich abweichen. Nun haben sie aber nicht für
den Rosenheimer Raum selbst ein Modell gestrickt, sie haben
Fachleute gefunden und beauftragt, ein Konzept auszuarbeiten.
Die Verkehrsexperten Wolf Drechsel, und Michael Steinfatt
aus Nürnberg erarbeiteten eine Studie, die von Vereinen
und Initiativen, die sich im RoRegio - Kreis zusammengefunden
haben, finanziert wurden. Für die Studie und die bisherige
Öffentlichkeitsarbeit haben sie bereits über 20
Tausend DM aus Spenden und aus eigener Tasche aufgewendet.
Mit einem "schienengebundenen System" will RoRegio
den Stau überholen und bequem von der Region ins Zentrum
führen : zu Ämtern und Büros, zu Veranstaltungen,
Arbeitsplätzen und zum Einkaufen.
Warum nicht einfach aus der Region direkt in die
City, statt zum Bahnhof?
Die Idee ist, wie so oft, einfach : Die Straßen sind
überlastet, neue zu bauen dauert Jahre, wenn nicht
Jahrzehnte. Bahnlinien sind aber schon vorhanden, sie müssen
nur aktiviert werden. Auf Rosenheim laufen 6 Eisenbahnstrecken
zu und können in relativ kurzer Zeit optimal für
den ÖPNV genutzt werden. Was fehlt ist eine Verbindungsstrecke
durch das Stadtzentrum. Für diese läßt sich
Platz finden, denn schließlich führte einst die
Eisenbahn durch einige Straßenzüge der Innenstadt.
Damit würde der Fahrgast ins Zentrum, wo seine Ziele
liegen und wo er so schlecht für seinen PKW einen Stellplatz
findet, ohne Streß und zeitliches Risiko geführt
werden. Eine ideale Streckenführung weg von den DB-Linien
als Stadtbahn hinein in die Stadt erschließt die wichtigsten
Punkte. Zahlreiche Haltestellen, insgesamt ca.70 in der
Stadt und in der Region, ermöglichen den direkten Zugang
zu Arbeitsplätzen und Einkaufszentren, und sorgen für
kurze Wege zwischen Wohnung und Fahrtziel.
Was fehlt ist der Gleiskörper in der Innenstadt, den
man in die Straßenzüge einbetten kann, und geeignete
Fahrzeuge. Und die kann man kaufen: verschiedene Firmen
bieten ein schienengebundene Systeme an, das als Eisen -
und Straßenbahn kombiniert fahren können, und
dabei innen wie außen sehr einladend und manchmal
auch etwas futuristisch , aussehen.
Das Expertenteam hat in seiner Studie einen Taktfahrplan
erarbeitet, der je nach Verkehrsbedarf vom ¼-
bis zum 1-Stundenrhythmus vorsieht.
Die Innenstadt könnte an Attraktivität
gegenüber den Einkaufszentren auf der Wiese gewinnen
Das "Hätten wir doch schon die Stadtbahn" wird noch oft zu hören sein. Dann bräuchten wir
nicht über teure Parkhäuser zu diskutieren, die
die Innenstadt verschandeln, noch mehr Autos in die Innenstadt
locken und wertvollen Platz für kreative Innenstadtgestaltung
beanspruchen.
Und warum "haben wir" nicht ? Blockiert wird
RoRegio von denen, die immer noch glauben, im Auto allein
läge die Lösung. Gemäß dem Planungsmuster
der 60er Jahre denkt man noch vielfach zunächst an
Straßenbau und erst in 2ter oder 3ter Linie an Alternativen.
Der Berufsverkehr wird als Individualverkehr staufrei und
mit bequemen Parkmöglichkeiten nicht mehr möglich
sein. Jeder muß von Gewohnheiten und vermeintlichen
Bequemlichkeiten Abschied nehmen. Und wenn Zeit kostbar
ist, dann sollte man sie anders nutzen, als durch Stau und
Parkplatzsuche, behaftet mit einem nicht geringen Unfallrisiko.
Müssen wir deshalb auf unser Auto verzichten? Diese
Angst ist unbegründet. Jeder kann und viele werden
es weiter besitzen. Aber für den Alltag muß es
neue Lösungen geben, und jeder wird darüber froh
sein und vielleicht auch ein wenig stolz, weil dann die
Vernunft gesiegt hat.
Leider gibt es hierzulande immer noch Politiker, die glauben,
sich durch Parkhäuser, Brücken und Umgehungsstraßen
ein Denkmal setzen zu können. Sie könnten ein
viel attraktiveres Denkmal erhalten, wenn sie den Mut zu
neuen Wegen aufbrächten und von populistischen Lösungsmustern
Abstand nähmen.
"90% aller Einkäufe liegen unter 2kg". Diese
und ähnliche Untersuchungen zeigen, daß das Nachhausetragen
der Einkäufe mit RoRegio in der Regel nicht das Problem
ist. Die Innenstadt von Rosenheim gewinnt nicht durch ein
weiteres Parkhaus an Attraktivität, aber sie wird durch
die Stadtbahn einen großen Aufschwung erleben.
Der Einstieg in die Zukunft wäre sofort möglich
Ist das alles Zukunftsmusik? An Fronleichnam 1996 stand
als Prototyp einer modernen Stadtbahn für einen Tag
eine Zuggarnitur der Karlsruher Albtalbahn in Rosenheim
zur Verfügung. Begeistert wurden die Fahrten Rosenheim
- Holzkirchen aufgenommen, man hätte sich zu gerne
an das Bild und an den Fahrkomfort gewöhnt. Der Zug
läuft wieder in Karlsruhe, ähnlich in Straßburg,
Saarbrücken... Wie lange müssen wir noch warten
? Tröstlich ist, daß bei gutem Willen das RoRegio
Konzept in den ersten Stufen ganz schnell umgesetzt werden
kann. Die Voraussetzungen wären günstig wie selten,
die Weichen müssen in den Köpfen gestellt werden.
Was nicht passieren darf, ist die in Rosenheim zu oft praktizierte
Halbherzigkeit. Es zukunftsweisende Zuggarnituren gekauft
werden, Haltestellen müssen den Erfordernissen angepaßt
werden, der Takt muß stimmen, und natürlich auch
der Fahrpreis.